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Der Faktor Mensch im digitalen Wandel
von Herbert Fitzek
Einleitung
Ein erfolgreiches Mithalten kann im digitalen Wandel nur dann gelingen, wenn Transition nicht als temporärer Störfall, sondern als permanenter Innovationsmotor verstanden wird, schreibt Herbert Fitzek in seinem Essay. Er fordert: Unternehmenskulturen müssen zu Wandlungskulturen werden.
Strategien zur digitalen Transformation von Unternehmen basieren auf der Annahme, dass sich die zunehmende Ersetzung von menschlichen Tätigkeiten durch digitale Techniken rechnet. Doch ist der Mensch keine Unbekannte in einer Gleichung, mit der sich (so einfach) rechnen ließe. Er reagiert sensibel und kompliziert auf Veränderungen, als Akteur, Beschleuniger, Hemmnis oder Widerstand, als ausschlaggebender Treiber oder Gegenspieler von Transformationsprozessen. Deshalb lohnt sich (auch wirtschaftlich) die Berücksichtigung des Faktors Mensch im digitalen Wandel: des Menschen in seiner Rationalität, seinen Befürchtungen und seiner Scheu vor den Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt.
Der Mensch – Agent oder Opfer des digitalen Fortschritts
Geschäftsmodelle im digitalen Wandel setzen zum Teil auf die Ersetzbarkeit menschlicher Handlungen durch digitale Funktionen. An die Stelle menschlicher Kommunikation treten langfristig Sequenzen eines maschinellen Datenaustauschs. Unternehmen profitieren davon, dass wertschöpfende Transaktionen zunehmend ohne operatives Zutun des Menschen stattfinden und von der Verwaltung bis in die Produktion hinein über vernetzte Systeme verlaufen („Internet der Dinge“). Gespart werden dadurch Kapazitäten, Kapital und (körperliche) Arbeitskraft.
In dieser prinzipiell geschäftsfördernden Transformation könnte sich der Mensch auf wesentliche Aufgaben konzentrieren, die seine Führungskraft, Innovationsfähigkeit und Kreativität beanspruchen – Eigenschaften, die durch Maschinen auf kurze wie lange Sicht nicht zu ersetzen sind. Tatsächlich hat sich der Mensch aber nicht zur Lenkung des Geschehens befreit, tatsächlich fühlt er sich dem Tempo des digitalen Wandels unterlegen und neuen Technologien ausgeliefert. Es häufen sich Klagen über den möglichen Zusammenbruch der Systeme im Kleinen (Serverausfall) und Großen (Internetblase), über mögliche Datenveruntreuung, wachsende Arbeitslosigkeit der nicht mehr Benötigten und individuellen „Burn-out“ und „Bore-out“ der digital Infizierten11.
Die Welle der Digitalisierung
In einer wirtschaftspsychologischen Untersuchung mit Führungskräften kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) stellte sich heraus, dass die Digitalisierung von den Betroffenen als Welle erfahren wird, die über ganze Belegschaften hereinbricht und diese mit Wucht überrollt. Dabei fallen die Reaktionen durchaus unterschiedlich aus: Während einige vom Fortschritt fast willenlos hin und her geschleudert werden, tauchen andere begeistert in den Strudel der technologischen Möglichkeiten ein. Einigen gelingt es, die Welle der Digitalisierung geschickt zu reiten, während sich andere erschrocken auf computerfreie Inseln retten und auf bessere Zeiten warten2.
Typische Verhaltensmuster auf digitalen Wandel
Heißt das nun, der Faktor Mensch sei eine schwer berechenbare Unbekannte, die je nach individueller Konstitution unvergleichbare Werte annimmt? Die Wirtschaftspsychologie hat bei allem Respekt vor den Untiefen (und Tiefen!) des menschlichen Wesens charakteristische Erlebens- und Verhaltensmuster bestimmen können, die es erlauben, die Wertigkeit des Faktors Mensch im digitalen Wandel einzuschätzen und zu berücksichtigen. Geschäftsmodelle im digitalen Wandel lassen sich optimieren, wenn sie das Denken und Handeln von Menschen im Veränderungsprozess reflektieren. Doch ist der mentale Kern des wirtschaftlichen Geschehens nicht mit einer einfachen Formel abzubilden. So wie sich das Erlebensgerüst von Menschen auf mehreren Ebenen abspielt, müssen auch verschiedene Aspekte der seelischen Konstitution der Beteiligten berücksichtigt werden, um Digitalisierung als Erfolgskonzept zu etablieren3.
Rationalität im Veränderungsmanagement
Es klingt wie eine Selbstverständlichkeit, als ersten Grundzug des Faktors Mensch im Wirtschaftsgeschehen seine Begabung zu rationalem Handeln zu nennen. Gerade in mittleren (und kleineren) Unternehmen ist es aber durchaus nicht selbstverständlich, plötzlichen und heftigen Herausforderungen besonnen und sachorientiert zu begegnen. Oft wird der kurze Weg zu Abwehr- und Gegenmaßnahmen gesucht. Unternehmen erfolgreich zu führen, setzt demgegenüber ein kultursensibles Navigieren durch ein schwer überschaubares Geflecht aus Anforderungen und Risiken voraus4.
Mitarbeiter einbinden
Entscheidende Voraussetzung bei der Digitalisierung ist die Berücksichtigung aller Mitarbeiter – über hierarchische Ebenen hinweg. Digitale Transformation bedeutet nicht nur für die Leitungsebene erhebliche Umstellungen, sondern Umstellungen und Beunruhigungen für jeden Betriebszugehörigen (und selbstverständlich auch die Stakeholder aller Art). Die Mitarbeiter sind nicht nur von technischen Aspekten des digitalen Wandels betroffen, sie müssen sich auch mit den Zielen digitalen Fortschritts identifizieren können. Um die digitale Transformation als gemeinsame Entwicklungschance zu begreifen, genügen weder Leitlinien noch wirtschaftliche Kalkulationen. Benötigt wird ein professionelles Storytelling, das die Ziele und Chancen, aber auch die Herausforderungen und Belastungen, des digitalen Fortschritts klar kommuniziert. […]
Wirtschaft 4.0 steht für einen sich zunehmend beschleunigenden Transformationsprozess, der nicht nur in technologischer und struktureller Hinsicht, sondern aufgrund von (Daten-) Geschwindigkeit, Termindruck und der Ausweitung von Arbeitszeit auch personell „revolutionäre“ Züge aufweist. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich deshalb nicht nur mit veränderten Wirklichkeiten vertraut machen, sondern auch ihre Wahrnehmungsschemata anpassen.
Dynamisierung: Beschleunigung standhalten
Die digitale Transformation ist gekennzeichnet durch ein hohes Veränderungstempo und das Entstehen neuer Geschäftsmodelle. Bei digitalen Veränderungsprojekten fehlen häufig die Routinen, wie mit neuen und unvorhergesehenen Ereignissen umzugehen ist. Agilität wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Tempobestimmung und -anpassung greifen nicht mehr. Der vertraute Ablauf von Start, Beschleunigung, Verlangsamen und Auslaufen wird nivelliert. Unvorhersehbarer Wandel wird zur Normalität. Ein erfolgreiches Mithalten kann im digitalen Wandel nur dann gelingen, wenn Transition nicht als temporärer Störfall, sondern als permanenter Innovationsmotor verstanden und systematisch vorangetrieben wird. Das heißt auch: Unternehmenskulturen müssen selbst zu Wandlungskulturen werden; Unternehmen dürfen sich nicht länger als befristetes Veränderungsobjekt betrachten, sondern müssen den Wandel aus sich heraus aktiv hervorbringen.
Coaching: Mut zur Selbstfürsorge
Industrie 4.0 stellt Führungspersönlichkeiten vor sich ständig wandelnde und ungeheuer komplexe Anforderungen. Manager und Unternehmensführer arbeiten in Zeiten der digitalen Revolution oftmals am Rande ihrer Kapazität. Veränderungsdruck, flexible Arbeitszeiten, ständige Ansprechbarkeit und eine hohe soziale Beanspruchung erfordern von Spitzenmanagern vielfältige (oft gegenläufige) Kompetenzen. Um den Herausforderungen gewachsen zu sein, müssen Führungspersönlichkeiten daher nicht zuletzt und mit besonderer Sorgfalt an sich selbst denken. Konstanter Wandel ist machbar, wenn sich auch die verantwortlichen Führungskräfte Unterstützung sichern. Coaching ist weder Stressintervention für Manager am Rande des Zusammenbruchs noch die Vorstufe zur Couch des Psychotherapeuten. Gezieltes Coaching zeugt von Sensibilität und Verantwortung sich selbst und anderen gegenüber. Es entkrampft Blockaden und setzt neue Entwicklungspotenziale frei. Effektives Persönlichkeitscoaching schafft die Basis, um vernetztes Denken und Handeln in permanenten Veränderungsprozessen erfolgreich zu meistern. […]
1 Kollmann, T. & Schmidt, H. (2016). Deutschland 4.0: Wie die digitale Transformation gelingt. Wiesbaden; Springer.
2 Vgl. BSP-Studie zu E-Business-Typen, Fitzek, Picht & Botzet (2014). Fitzek, H., Picht, G. & Botzet, N. (2015). Digitalisierung im Mittelstand. Psychologische Untersuchung zu digitalgeprägten Arbeitskontexten und Unterstüzungsangeboten für Führungskräfte. BSP Forschungsberichte (Heft 1). Berlin: HPB.
3 Giernalczyk, Th. & Lohmer, M. (2012). Das Unbewusste im Unternehmen. Psychodynamik von Führung, Beratung und Change Management. Stuttgart: Schäffer-Pöschel.
4 Doppler, K., Fuhrmann, H., Lebbe-Waschke, B. & Voigt, B. (2002). Unternehmenswandel gegen Widerstände: Change anagement mit den Menschen. Frankfurt/M.: Campus.